Zweck und Zweckfreiheit
Zum Funktionswandel der Künste im 21. Jahrhundert

Mi, 26.06.2019 | 19:00
HMDK Stuttgart | Orchesterprobenraum

Zum Auftakt der neuen Reihe im Metzlerverlag Ästhetiken X.0 – Zeitgenössische Konturen ästhetischen Denkens, in der als erster Band Zweck und Zweckfreiheit erscheint, diskutieren die Herausgeber*innen Christian Grüny, Michaela Ott und Judith Siegmund, HMDK-Gast ist Martin Schüttler. Begrüßung durch Dr. Regula Rapp, Rektorin

In der Theoriegeschichte der ästhetischen Theorie hat sich im 20. Jahrhundert eine Lesart der Kantischen Analytik des Schönen herausgebildet, welche die Zweckfreiheit der Künste als Dogma ihrer Funktionslosigkeit versteht. Dem gegenüber gibt es Entwicklungen auf dem Feld der Künste, die in eine andere Richtung weisen. Das Buchprojekt geht von der impliziten Annahme aus, dass ästhetische Theorie sich ihrem Gegenstand gegenüber als angemessen erweisen muss. Es besteht daher eine Notwendigkeit, die theoretischen Parameter der Zweckfreiheit, Autonomie und Funktionslosigkeit neu zu überdenken. Die Strategie dieser Operation besteht darin, sich mit der philosophischen Geschichte des Zweckbegriffs auseinanderzusetzen und diese in ein Verhältnis zu aktuellen Diskursen und Phänomenologien der Kunst zu setzen. Auf dem Prüfstand steht damit die Funktion/Funktionslosigkeit der Kunst in der Gesellschaft sowie eine Neufassung ihrer Zwecke.

Mehr Verlagsinformationen gibt es » hier.

 

 

Auch zum Vortrag von Michaela Ott über ihr neues Buch an der Merz Akademie um 13 Uhr sind alle herzlich eingeladen:

Welches Außen des Denkens? Französische Theorien in (post)kolonialer Kritik
Vortrag von Michaela Ott

Mi, 26.06.2019 | 13:00 – 14:30 Uhr
Merz Akademie Stuttgart | Aula

›Das Denken des Außen‹ – das ist ein Anspruch, eine Kurzformel, eine philosophische und politische Selbstverpflichtung, die die französische Theorie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. Mit diesem Appell zur Beachtung und zur Auslieferung an das ›Andere‹ wollte sich die französische Philosophie selbst herausfordern und an die Grenzen des Denkbaren und Sagbaren treiben. Es ging um ein Verhältnis zwischen Selbst und Anderen, das nicht mehr durch Aneignung und Verschlingung bestimmt ist, ein Verhältnis, in dem das Selbst nicht mehr über den Umweg des Anderen seine Identität sichert, sondern seine Identität verliert und sich selbst auf Nichtidentität und Nichterkennbarkeit öffnet.

So wagemutig und unhintergehbar diese Ansätze bis heute sind, so haben sie doch Entscheidendes übersehen: die anderskulturellen Menschen, die in Frankreich leben und lebten, die Migrant/innen und Einwander/innen sowie ihre Erfahrungen mit einer rassistisch aufgezwungenen Nichtidentität und Nichterkennbarkeit. Von daher fragt Michaela Ott nach der methodischen Farbenblindheit und -Taubheit des philosophischen Denkens, nach Stimmen, die zu hören gewesen wären und zumindest heute wahrzunehmen sind. Sie unternimmt einen historischen Durchgang durch die französische Theoriebildung von 1944 bis in die Gegenwart. Sie diskutiert ihre methodischen Umbrüche und die schwer nachvollziehbare Ausblendung migrantischer und postkolonialer Positionen trotz der Zentralstellung des Anderen im französischen Diskurs. Sie fragt damit auch nach Arten des ›Übersehens‹ in der zeitgenössischen Theorie und nach notwendigen Wiedereinführungen leichtfertig verabschiedeter Termini.

Michaela Ott ist Professorin für Ästhetische Theorien an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg.